Zielarbeit Teil 1: Was macht eigentlich Cäsar am Rubikon?
von Dörthe Beurer
Zielarbeit lohnt sich!
Die Legende von Cäsar und dem Rubikon ist ein ziemlich beliebtes Bildmotiv, es gibt unzählige Darstellungen. Für mich als Hundemutti ist die obige aber mein klarer Favorit (hier geht's zur Bildquelle).
Und was macht Cäsar nun am Rubikon? Dranbleiben, die Auflösung kommt weiter unten! Vorweg aber noch eine kleine Quizfrage:
"Man braucht keine Ziele im Leben, kann gut einfach so in den Tag hinein leben, es auf sich zukommen lassen." |
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Richtig oder falsch? |
Falsch. Man kann sich zwar auch einfach vom Leben treiben lassen (Treibsand-Variante). Empfehlenswert ist es aber nicht, Denn dann landet man vielleicht irgendwo (schlimmstenfalls in der Sackgasse) und stellt fest: "Mist, da wollte ich doch gar nicht hin!". Und was antworten Sie jemandem, der Sie auf der Straße fragt "Bin ich hier richtig?" Richtig: Sie fragen zurück: "Wo wollen Sie denn hin?" Nur, wenn man eine Idee davon hat, wo man hin möchte, kann man auch beurteilen, ob man noch auf Kurs ist oder nicht.
Besser ist es, sein Leben "proaktiv" in die eigenen Hände zu nehmen. Das macht etwas mehr Arbeit als die Treibsand-Variante, aber es lohnt sich! Und die Forschung hat gezeigt, dass es gut für das Wohlbefinden ist, Ziele zu haben, sie zu verfolgen und zu erreichen. Ziele sind also gesund! Dabei ist es aber wichtig, dass es persönliche, selbst gewählte Ziele sind, die zudem realistisch und bedürfnisgerecht sind (Baumann, Kaschel & Kuhl, 2005; Brunstein, Schultheiss & Grässmann, 1998; Emmons, 1986).
Gute Zielarbeit ist auch flexibel, bleibt elastisch! Man sollte nicht um jeden Preis und stur auf dem ursprünglichen Kurs bleiben wollen, wenn ein Gewitter aufzieht oder ein Eisberg auftaucht.
Veränderung ist Zielarbeit!
Wenn Sie zu mir kommen, egal ob in die Beratung oder in die Psychotherapie, dann wollen Sie wahrscheinlich gerne etwas für sich verändern. Denn: so, wie es bisher war, soll es nicht bleiben.
Veränderung ist damit eigentlich unweigerlich mit Zielarbeit verbunden. Ziel ist, mal ganz allgemein gesprochen: es anders zu machen, als bisher (egal, ob anders handeln, anders denken, anders deuten).
Aber wie geht eigentlich gute Zielarbeit? Und warum ist es Arbeit? Ich würde sagen: Wenn es um Ziele geht, die man nicht so ohne Weiteres erreichen kann, dann ist es schon deshalb Arbeit, weil man über Teil- und Etappenziele nachdenken muss, planen, vorbereiten usw. Und weil es auch nicht immer Spaß macht.
Ein paar Beispiele für anspruchsvolle Ziele querbeet: Berufsabschluss schaffen, Studium gut abschließen, guten Job finden, beruflich Karriere machen, weniger Stress, Familie gründen, mehr Zeit für die Familie, öfter Nein sagen, geduldiger sein, gelassener sein, mutiger sein, Ungewissheit besser aushalten, weniger Selbstzweifel und mehr Akzeptanz, weniger prokrastinieren, weniger perfektionistisch sein, besseres Arbeits- und Zeitmanagement, gesünder leben, mehr Sport machen, ein gutes Leben leben, ein guter Mensch sein, etwas bewirken, ...
Anspruchsvolle Ziele können also beruflich oder privat sein oder sich auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung beziehen. Und sie können kurz-, mittel- oder langfristig ausgelegt sein oder sich auch auf allgemeine Lebensziele beziehen.
Die Rubikon-Route: Der Navi für Zielarbeits-Profis
Wenn Sie schon im Web unterwegs waren auf der Suche nach Motivations- und Erfolgstipps, sind Sie vielleicht schon dem Rubikonmodell der Handlungsphasen begegnet. Es wurde von dem namhaften Psychologen Heinz Heckhausen beginnend in den 1980er Jahren entwickelt (Heckhausen, 1987). Das Modell hat eine recht beachtliche Karriere gemacht und es von den psychologischen Forschungslaboren und Anfangsvorlesungen in Allgemeiner Psychologie auf die großen Bühnen der Coachings-Szene geschafft.
Das Modell stammt aus der Motivationspsychologie bzw. Handlungspsychologie und macht deutlich, dass zielgerichtetes Handeln verschiedene Phasen durchläuft, wenn man es systematisch abbilden möchte (was wir Psychologen leidenschaftlich gerne tun, das mit dem systematischen Abbilden).
Cäsar am Rubikon. Der besondere Clou an dem Modell ist: Es gibt einen entscheidenden (psychologischen) Wendepunkt, dem der Rubikon, seinen Namen geliehen hat. Der Rubikon ist ein italienischer Fluss, der in der Geschichte des römischen Reiches und für die berufliche Karriere (
) Julius Cäsars eine wichtige Rolle spielte. Bei Cäsar, dem Römer, war der Legende nach die Überschreitung des Rubikon gleichbedeutend mit der Entscheidung für einen Machtkampf und der Beginn eines Bürgerkrieges – bei Cäsar, dem Hundi im obigen Gemälde, möglicherweise auch der Beginn von viel Ärger nach einer leckeren Zwischenmahlzeit, je nach seiner Entscheidung und Willenskraft. Der Wille spielt auch eine wichtige Rolle in dem Rubikonmodell. Heckhausen war es ein wichtiges theoretisches Anliegen, unser menschliches Handeln nicht nur im Hinblick auf die Motivation zu untersuchen, sondern auch die Rolle des Willens (Volition) wieder in den Blick zu nehmen (Heckhausen, 1987). Und der Rubikon war dafür das Bild der Wahl, um den Wendepunkt vom Wünschen zum Wollen (von der Motivation zur Volition) zu bezeichnen.
In dem psychologischen Rubikonmodell gibt es aber genaugenommen drei Wendepunkte (die auch in der Fachliteratur unterschieden werden, z. B. Achtziger & Gollwitzer, 2018), deshalb nenne ich den ersten den "großen Wendepunkt", die anderen "kleine Wendepunkte" (s. u.). Und so verläuft die psychologische Rubikon-Route (das ist meine Bezeichnung, keine Fachbezeichnung) im Idealfall:
| RH-Info Zielarbeit Rubikon-Route © D. Beurer Info zur Abbildung Rubikon-Route. Oben: die vier Phasen und drei Übergänge bzw. "Wendepunkte" auf der Rubikon-Route; Mitte: Fragen, Merkpunkte und gute Selbststeuerungs-Hilfen; Unten: Welche Selbststeuerungsfähigkeiten sind jeweils hauptsächlich gefordert und welche emotionale Verfassung ist jeweils hilfreich? |
Sortierhilfe und Checkliste. Das Rubikonmodell ist zu Recht populär, denke ich. Denn es gibt einen guten Überblick über den gesamten Prozess, angefangen bei der Suche nach guten Zielen bis zum Happy End der Zielerreichung. Und es kann besonders nützlich sein, wenn es mal nicht so richtig glatt läuft bei der persönlichen (Lebens-)Zielarbeit. Spätestens dann kann man kann es gut als Checkliste für sich nutzen, prüfen: Wo stehe ich? Wo hakt es? Woran könnte es liegen? Was könnte mir weiterhelfen? In der Abbildung (mittlerer Teil) finden Sie weitere Prüffragen und Tipps für die Zielarbeit. Besonders wichtig bei der Zielarbeit ist meines Erachtens, sich auf Turbulenzen und Planbabweichungen vorzubereiten. Das bedeutet, sich auch zu fragen, was Hürden, Stolpersteine und Fallstricke sein könnten auf dem Weg zum Ziel und welche Vorkehrungen man treffen kann. Es geht also darum, für die gute Sturmfestigkeit zu sorgen, so, wie das ja auch gute Pilotinnen und Schiffskapitäne tun, bevor sie sich auf den Weg machen.
(Übrigens: Wenn Sie Hilfe brauchen, melden Sie sich. Dann machen wir die Zielarbeit gemeinsam. Ich helfe Ihnen, gute Ziele für sich zu finden und Sie zu erreichen.)
Ziele finden: Abwägen und entscheiden
Abwägen. Vor dem großen Wendepunkt sind wir noch nicht entschieden, stehen diesseits des Rubikon, überlegen: Was will ich machen, wo soll es hingehen? Usw. Wir sind mehr in einem abwägenden, offenen, suchend-prüfenden Mindset (Neudeutsch für geistige Haltung, Denkweise; meine Fachkollegen sprechen hier auch von der motivationalen Phase).
Wenn wir uns entscheiden, überqueren wir damit den Rubikon und landen jenseits am anderen Ufer. Die erste, große Wende ist geschafft! Aber leider ist das ja noch nicht das Happy End. Denn bloß weil ich weiß, wo ich hin will, bin ich ja noch nicht angekommen (außer, ich habe Zauberkräfte oder einen guten Draht zum Weihnachtsmann oder zur guten Märchenfee).
Ziele umsetzen: Vom Planen ins Tun und in die Pötte kommen
Nach dem großen Wendepunkt aktivieren wir (idealerweise) unsere Willenskraft, um das gewählte Ziel dann auch zu erreichen (volitionale Phase im Fachsprech). Dann geht die eigentliche Schufterei los, Selbstdisziplin und Selbstkontrolle sind gefragt. Gerade bei anspruchsvollen Zielen, die man nicht so ohne Weiteres erreichen kann, geht es klugerweise zunächst ans Planen. Wenn der Plan steht, ist es aber auch wichtig, ins Tun und Umsetzen zu kommen, sonst nützt ja der schönste Plan nichts. Der Wechsel vom Planen ins Umsetzen lässt sich als zweiter, kleiner Wendepunkt sehen (Handeln, "in die Pötte kommen" oder Intentionsinitiierung im Fachsprech, z. B. Achtziger & Gollwitzer, 2018, S. 358).
Ziel erreicht: Bewerten nicht vergessen!
Ziel erreicht? Glückwunsch! Aber halt: Noch nicht Feierabend machen, sondern die gesammelten Erfahrungen zumindest mal kurz beleuchten und bewerten, um später davon profitieren zu können: Was sind die Lessons learned? Was lief gut, was nicht? Was kann ich daraus für künftige, ähnliche Vorhaben lernen? Das ist der dritte, auch etwas kleinere, aber auch wichtige Wendepunkt. Er führt uns wieder zurück in die motivationale, prüfende Betrachtung (damit vom Handeln ins Bewerten). Wenn wir das Rad nicht jedes Mal neu erfinden wollen, wäre es gut, den Erfolg gebührend zu feiern, wenn es geklappt hat, aber auch Erfahrungswerte zu speichern: "Wow, wie habe ich das geschafft? Merke ich mir!" Und wenn es schieflief, ist die Analyse ja umso wichtiger fürs persönliche Fehler- und Qualitätsmanagement.
Ausblick auf Zielarbeit Teil 2: auch noch gut zu wissen
Für eine gute Zielarbeit sind gute Selbststeuerungsfähigkeiten wichtig, um wirklich sturmfest unterwegs sein zu können (s. o.). Was das im einzelnen bedeutet, wie Sie gut trainieren und welche Werkzeuge Sie dafür nutzen können, erfahren Sie in Teil 2 dieser kleinen Zielarbeit-Serie (kommt bald, versprochen!
).
Literatur
- Achtziger, A. & Gollwitzer, P. M. (2018). Motivation und Volition im Handlungsverlauf. In J. Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation und Handeln (5., überarbeitete und erweiterte Aufl., S. 355–388). Berlin: Springer.
- Baumann, N., Kaschel, R. & Kuhl, J. (2005). Striving for unwanted goals: Stress-dependent discrepancies between explicit and implicit achievement motives reduce subjective well-being and increase psychosomatic symptoms. Journal of Personality and Social Psychology, 89, 781–799.
- Brunstein, J. C., Schultheiss, O. C. & Grässmann, R. (1998). Personal goals and emotional well-being: The moderating role of motive dispositions. Journal of Personality and Social Psychology, 75, 494–508.
- Emmons, R. A. (1986). Personal strivings: An approach to personality and subjective well-being. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 1058–1068.
- Heckhausen, H. (1987). Wünschen – Wählen – Wollen. In: H. Heckhausen, P. M. Gollwitzer & F. E. Weinert (Hrsg.), Jenseits des Rubikon: Der Wille in den Humanwissenschaften (S. 3–9). Berlin: Springer.

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